Die Klimakrise rollt seit vielen Jahren auf uns zu. Allen, die es in diesem Kontext noch nicht verstanden haben, erschließt es sich wohlmöglich anhand der nicht so komplexen Corona-Situation: Das vorherrschende Wirtschaftssystem ist maßgeblich Teil des Problems und nicht der Lösung. Es sorgt eigentlich erst dafür, dass die Situation zur ernsthaften Krise wird.
Krisentagebuch, Tag 53
„… meine Kräfte schwinden und ich weiß nicht, wie lange ich den täglichen Überlebenskampf noch durchhalten kann. Obwohl ich mich schon gestern Abend in die lange Schlange eingereiht hatte, ging ich heute morgen leer aus bei der Brotausgabestelle. Fünfzig Meter vor mir gab es unschönen Szenen, als die letzte Laibe durch das Gitter gereicht wurden…
Mir lachte jedoch kurz das Glück, als ich desillusioniert nach Hause kam. Obwohl es in unserem Hof mittlerweile bestialisch stinkt, hat die Arbeitsniederlegung der Beschäftigten im Entsorgungsbereich auch seine Vorteile – für eine altersschwache Ratte, die im Müll wühlte, war selbst ich in meinem desolaten Zustand zu schnell. Das Wegschneiden der Tumore ließ dann nur noch einen traurigen Haufen Fleisch übrig. So lutsche ich grad sorgfältig noch die dünnen Knochen aus. In den nächsten Tagen wäre das Tier eh elendig verreckt, das beruhigt mein Gewissen ein wenig. Vor der Krise hatte ich mich schon viele Jahre vegan ernährt.
Ich war cleverer als die Leute, die sich in den Supermärkten noch um die letzten Packungen Toilettenpapier geprügelt hatten. Bei mir stapeln sich die alten Zeitungen, die ich aus den nicht geleerten Papiertonnen sortieren konnte. Mein Hintern muss schon ganz schwarz sein von der Druckerschwärze. Besser als nichts, auch wenn regelmäßiger Stuhlgang mangels Masse derzeit zu meinen kleineren Problemen gehört.
Hab’ auf der Straße ’nen Gerücht gehört, nach dem es morgen nachmittag für kurze Zeit Strom und evt. auch Wasser geben soll. Dann muss ich alle Eimer und Akkus am Start haben und vielleicht ist sogar eine kurze warme Dusche möglich…“
DIE CORONA-SITUATION
So in der Art sollte eine echte Krise aussehen. Falls wir verdrängt haben, unter welchen Umständen anderswo in der Welt Menschen leben müssen, können wir dank Kino oder Netflix die passenden Bilder und Geschichten in unserem Gedächtnis abrufen.
Corona ist eigentlich keine Krise, sondern eine „Situation“. Diesen Begriff hat auch Angela Merkel bei ihrer Fernsehansprache am 18. März verwendet – ein sicher sorgfältig bedachtes Details einer insgesamt sehr guten Rede.
Schauen wir uns unsere Situation einmal an:
Wir haben es mit einem neuen Virus zu tun. Sein Ausbruch konnte nicht eingedämmt werden und seine Eigenschaften können dazu führen, Gesundheitssysteme mit zu vielen gleichzeitig intensivmedizinisch zu betreuenden Patient*innen zu überfordern. In einigen Ländern bzw. Regionen auf der Welt ist diese Krise im Gesundheitssystem leider schon eingetreten.
Hier sehen wir schon zwei Faktoren, bei denen uns „unser“ Wirtschaftssystem eine schlechte Ausgangslage beschert hat: Aus Kostengründen bzw. zu wenig öffentlichen Mitteln wurde keine notwendige Vorsorge getroffen – keine Pläne, keine Aufklärung, keine Bevorratung bzw. zumindest Planung, wie Schutzausrüstung u.ä. in kurzer Zeit produziert werden könnte.
Und unser Gesundheitssystem könnte ohne eine Gewinnorientierung auch viel besser dastehen. Die Zustände waren schon ohne Corona für das Personal oft nicht mehr haltbar.
Zusammen gefasst haben wir es also mit einer Herausforderung für unser Gesundheitssystem zu tun. Um es nicht zu überfordern, werden Maßnahmen zur Eindämmung der Übertragung eingeführt. Diese Maßnahmen beinhalten, dass zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr oder nur eingeschränkt ausgeübt werden sollen bzw. dürfen.
AUSWIRKUNGEN
Ergibt sich aus diesen Einschränkungen, dass die basale Versorgung mit Gütern, Infrastruktur und Dienstleistungen nicht mehr gewährleistet ist? NEIN. Wir haben keine Situation, wie sie im o.g. Krisentagebuch skizziert ist. Und dafür sorgen sehr, sehr viele Menschen, die den Laden auch in „normalen“ Zeiten am Laufen halten. Ja, es sind die Menschen und keine Konzernkonstrukte oder deren superreichen Shareholder, die mich und Euch versorgen.
Können wir als Gemeinschaft auch all diejenigen Menschen versorgen, die ihre Tätigkeit derzeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben können? JA.
Die restlichen Probleme, die sich aus den Maßnahmen ergeben, sind z.T. nicht angenehm, prinzipiell jedoch nicht existenzbedrohend oder gesundheitsgefährdend. Und können durch ein solidarisches Miteinander auch abgefedert werden. Das ist derzeit ja auch weit verbreitet.
#DieKriseheißtKapitalismus
Wir haben die medizinische Situation in Deutschland derzeit also recht passabel im Griff. Und könnten mit verschiedenen Maßnahmen auch gemeinsam gut über die Runden kommen, bis ein Impfstoff und/oder andere wirksame Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen.
Mit dem konsequenten Einsatz von Mund-Nasen-Schutz sind wieder etwas mehr persönliche Kontakte möglich. Und Dank des World Wide Web haben wir vielfältige Möglichkeiten, virtuell mit anderen Menschen zu interagieren. (Zur Erinnerung: Es war der Wissenschaftler Tim Berners-Lee, der an einer öffentlichen Einrichtung, dem CERN den Grundstein für das WWW legte.)
Wir sind jedoch in einer wirtschaftlichen Krise, die sich aus den Rahmenbedingungen des kapitalistischen Systems ergibt. Und die leider auch negative Auswirkungen auf echte Menschen hat und nicht nur auf juristische Personen.
Die meisten Flugzeuge bleiben am Boden? Wo liegt das eigentliche Problem? Die Mitarbeiter*innen müssen mit notwendigen Gütern, Infrastruktur und Dienstleistung versorgt werden. Können wir das prinzipiell? JA.
Bei VW stehen Massen an Autos rum, die nicht verkauft werden können? Wo liegt das eigentliche Problem? Die Mitarbeiter*innen müssen mit notwendigen Gütern, Infrastruktur und Dienstleistung versorgt werden. Können wir das prinzipiell? JA.
Großveranstaltungen wie Festivals oder Fußballspiele können nicht stattfinden? Wo liegt das eigentliche Problem? Menschen, die in der Unterhaltungsbranche arbeiten, müssen mit notwendigen Gütern, Infrastruktur und Dienstleistung versorgt werden. Können wir das prinzipiell? JA.
Was soll das für eine Krise sein, bei der wir sogar Menschen aus anderen Ländern einfliegen, um ein „Luxusgut“ wie Spargel ernten zu lassen? WTF… Falls ein Jahr Spargelverzicht unsere Gesellschaft wirklich überfordern würde, wären wir soweit jenseits der „römischen Dekadenz“, dass wir den ganzen Laden aus Respekt vor uns selbst schließen sollten…